„Das sind usbekische Soldaten!“ Wir sind vor Schreck ganz starr. Waren wir den ganzen Tag durch diese fürchterliche Staubwüste gefahren, um am Ende doch in`s gefürchtete Usbekistan zu kommen?
Wir, das sind Chris (unsere Quorumsfrau), Michel, Christoph und meine Wenigkeit.
Wir haben uns auf diese Reise mit ungewissem Verlauf aufgrund einiger unscharfer Internetbilder, die von gewaltigen Granitwänden in den Tiefen Mittelasiens kündeten, aufgemacht. Unbekannt, unbestiegen, unzugänglich – das waren schon immer die Attribute, die uns reizten. Aber was genau heißt unzugänglich? Die grimmigen Gesichter der Soldaten vor uns lassen nichts Gutes erahnen. Zwar ist der Weg das Ziel aber doch hoffentlich nicht schon alles? Ilhom, unser Dolmetscher und Begleiter hat uns gewarnt: in Usbekistan weht ein anderer Wind. Dort herrscht Bestechung und Korruption, weshalb wir versuchen, die tief nach Kirgisien hineinreichenden „Finger“ des usbekischen Staates auf üblen Nebenpisten zu umfahren. Die zu Zeiten der ebenso ruhmreichen wie untergegangenen Sowjetunion gebauten schnurgeraden Hauptstraßen würden uns natürlich erheblich schneller ans Ziel bringen, doch um von Osh, unserem Ausgangspunkt, ins abgelegene Westkirgisien zu gelangen, müssten wir nach Usbekistan einreisen, wieder ausreisen, eine usbekische Exklave durchqueren (2 Grenzübertritte), wieder nach Kirgisien einreisen und schließlich eine tadshikische Exklave durchqueren. Man kann es auch variieren und die usbekische Exklave auslassen und dafür erst mal tiefer nach Tadshikistan einreisen um dann wieder nach Kirgisien zu gelangen, was einem aber die letzte Exklave auch nicht erspart. Wie man`s auch dreht und wendet – jeder Grenzübertritt kostet viel Zeit, viel Geld und jede Menge Nerven. Da kam uns das Angebot in Osh gerade recht: 4000 Som (80 €) für einen Kleinbus inklusive Fahrer, der uns im all inklusive – Stil (das heißt hier – inklusive aller Bestechungsgelder) bis zum Fuß der Turkestan – Kette, unserem Zielgebiet bringen würde. Wir lieben Pauschalreisen!!!
Nachdem die Soldaten eingestiegen sind und unsere Domumente eingezogen haben, wird unser Chauffeur aufgefordert, weiterzufahren. Um die Situation etwas zu entspannen, versuche ich ein Gespräch zu beginnen. „Ne gawarju po russki“ („Ich spreche kein russisch“) ist die gnatzige Reaktion. Ich sehe uns schon wegen illegalen Grenzübertritts in der Zelle eines abgelegenen Militärpostens Freilassungsverhandlungen führen. Aber nach einer quälenden halben Stunde steigen die Jungs so unvermittelt aus, wie sie gekommen sind. Tramper mit Kalaschnikow. Das ist also das Land der unbegrenzten Möglichkeiten!
Am Abend kommen wir nach Batken, der „Regionshauptstadt“ des wilden Westens. Ängstlich ducken sich die niedrigen Häuser des kleinen Ortes in die Steppe am Fuße der 5000er der Turkestankette. Hier steht uns noch ein spannender Gang durch die Instanzen bevor. Zwar verfügen wir über ein Permit aus der Hauptstadt, welches uns gestattet, im Grenzgebiet unterwegs zu sein, wie viel das hier noch wert ist, wissen wir aber nicht. Nach mehrmaligem Pendeln zwischen einem 20km entfernten Militärstützpunkt und der Stadt haben wir aber alle Genossen von ihrer Kompetenz überzeugt und den entscheidenden finalen Stempel in unseren Papieren prangen. Mit Hilfe einer überaus konspirativen Nacht gelangen wir auf Schleichwegen ohne Kontrolle durch die unumgängliche tadshikische Exklave Voruch bis in „unser Tal“, wo uns ein kirgisischer Miltärposten gastfreundlich aufnimmt.
Hier erfahren wir einiges über den Krieg vor drei Jahren, als das „Islamic movement“ versuchte, das Gebiet unter seine Kontrolle zu bekommen, um einen sicheren Handelsweg für in Europa dringend benötigte afghanische Psychopharmaka zu etablieren. Auch die spektakulären Berichte der amerikanischen Expedition, welche nichtsahnend einen Big – Wall unternahmen, als sie unter Beschuss zum Abseilen gezwungen wurden um dann in Geiselhaft zu geraten, werden von den Soldaten erzählt. Jetzt scheint wieder alles ruhig zu sein, die kirgisischen Bewaffneten versprechen uns umfasenden Schutz. Auch die einheimischen Hirten bezogen in diesem Jahr erstmalig wieder ihre Sommerunterkünfte in den Hochlagen der Täler.
Der nächste Tag führt uns ein endloses Tal bis zu einem zweiten und letzten Militärposten. Hier geraten wir in eine Soldatengeburtstagsparty und werden mit Melone und frisch geschossenem Hasen bewirtet. Als ich dann nachts für kleine Europäer muss, bewege ich mich betont arthritisch. Im Ohr klingen mir noch die Worte des diensthabenden Offiziers: „Lauft nicht umher, meine Leute haben Befehl, auf alles zu schießen, was sich bewegt.“
Am folgenden Abend werfen wir unsere Rucksäcke in den Staub: Es ist unfassbar: El Capitan und Half Dome, und dahinter eine Wand die alles überragt. Nur daß die Teile hier Asan, Usen und „Pik 1000 Jahre russische Orthodoxie“ heißen. Oder 4810 – was klingt, wie ein altmodisches Duftwasser, sich aber als die gewaltigste Granitpyramide unter der östlichen Sonne entpuppt (inzischen als Pik Odessa bekannt).
Im Tal windet sich ein Gletscher in der Sonne und ringsum machen Wälder aus Lebensbäumen und saftige Almwiesen das ansonsten karge mittelasiatische Gebirge zum blühenden Garten.
Was eigentlich nur ein Informationsbesuch werden sollte, gerät nun doch zur ambitionierten Suche nach schönen, kletterbaren Linien. Dabei sind wir allerdings stark eingeschränkt. Auf unsere Schultern als Transportmittel beschränkt, haben wir nur das Nötigste mitgebracht: Klemmkeile und Friends, dazu eine Handvoll Normalhaken. Der Rest des Rucksacks musste mit Lebensmitteln gefüllt werden, wussten wir doch nicht, ob wir hier oben noch Versorgungsmöglichkeiten hätten. Doch unsere quälenden Hungerfantasien zerstieben angesichts eines unerwartet elaborierten Caterings. Zunächst verspäten wir uns um einen Tag im Basislager. Schließlich ist es nicht möglich, an irgendeinem Haus des Dorfes Karavshin vorbeizulaufen. Die Einladung zum Tee auszuschlagen wäre sicher eine tödliche Beleidigung. Gut für unseren Zeitplan: Das Dorf besteht nur aus 4 Häusern. Und die sind jeweils 2 Kilometer voneinander entfernt. So gelangen wir mit Käse, frischem Brot und süßen getrockneten Aprikosen gestärkt bergauf.
Im ABC (advanced basecamp, 3100m) treffen wir auf eine russische Expedition. Sie haben in 5 Tagen harter Big – Wall – Arbeit den Asan (4230m), den Charaktergipfel des Tales, durch seine über 1000 Meter hohe Nordwestwand bestiegen und werden am Folgetag absteigen. Von ihnen bekommen wir einige Informationen über dieses allgemein noch wenig bekannte Gebiet. Leider kennen sie außer ihrer eigenen Route nur noch die so genannte Diagonale an der gegenüberliegenden Sheltaja Stena (Gelbe Wand – 600m). Schwierigkeitsgrade können sie uns auch nur in der russischen Skala übermitteln, und diese reicht bis 6B. Eine 6B ist eine ernsthafte Mehrtagestour – das kann alles bedeuten. Aufgrund unserer beschränkten Ausrüstung und mangels Biwakausrüstung sind die Kriterien für uns klar: Es muss an einem Tag machbar sein und wir brauchen einen Riss zum Absichern. Da bietet sich der Nebengipfel der Sheltaja Stena an. Name: unbekannt, Weg: unbekannt. Aber es ist eine Verschneidung sichtbar, welche gute Friendplatzierungen zu ermöglichen scheint. Also los. Gut griffige Hangeln in bestem Granit weisen den Weg. Dann jedoch schließt sich der Riss und die überhängende Verschneidung drängt mich ab. Was nun? Der Schritt in die freie Wand wird unausweichlich. Ein paar Felsblättchen lösen sich vom unberührten Fels. Reibung auf Verdacht und keine Möglichkeit für eine Sicherung. Doch dann eine Leiste – ich hechte sie mit den Händen an und laufe an ihr hoch bis ich auf ihr stehen kann. Zeit zum durchatmen und zurückschauen.
Der letzte Wackelkeil liegt schon ein paar Meter zurück aber der Standplatz, von dem Michel mich sichert, ist bombenfest. Also kein Grund zum Zögern. Nach einigen unsicheren Reibungsschritten setzt wieder eine Rissspur ein. Diese bekommt erst meine Finger und nach ein paar Zügen auch einen Friend zu fressen und führt mich schnurstracks nach oben. Aber auch dieser Riss endet irgendwann und als nicht einmal mehr meine Fingerspitzen hineinpassen bin ich mit meinem Latein am Ende. Die Armkraft schwindet dahin, plötzlich rutscht mein Fuß ab und ich sehe mich in Gedanken schon in den einige Meter tiefer platzierten 1er friend abtauchen. Doch der Fuß findet neuen Halt und mit letzter Kraft erreiche ich mit meiner rechten Schulter einen riesigen Klemmblock. Der sieht aus, als brenne er nur darauf, Newtons Gesetze zu beweisen und so wollte ich ihn eigentlich auf Teufel komm raus umgehen. Aber an was klammert man sich nicht alles in der Not! Beziehungsweise wie klemmt man sich dahinter, denn das Ding steckt hinter einer gewaltigen „flake“ und lässt nur wenig Raum für meinen einen. Und so genieße ich „Falkenstein – Südriss – Feeling“ mit einem seitlich auf die Hüfte geschobenen Einbindeknoten und einer dem Hochschieben und Festpressen angepassten Atemtechnik. Mit hochrotem Kopf auf dem Klemmblock sitzend sehe ich mich nach einer Standplatzsicherung um. Es bleibt nur der Block, auf dem ich sitze. Jetzt hängen wir beide an 30 Tonnen Hoffnung – aber was 5 Minuten gehalten hat wird auch noch eine halbe Stunde länger halten. Danach wird die Kletterei angenehmer und nach oben immer leichter bis hin zur Gratwanderung. Trotzdem ist es fast dunkel, als wir oben ankommen. Wir geniessen das gewaltige Panorama der Tausendmeterwände bevor wir zwei Seillängen absteigen und eine steile Schuttrinne abfahren.
In den folgenden Tagen entspannen wir uns bei ein paar baseclimbs im „Gletschergarten“, einer klettergartenähnlichen Felswand am Fuße der Silberwand in feinstem Granit mit Reibung und Rissen.
Dann vergnügen wir uns an einer weiteren Erstbegehung am Vnuk (=Little Asan) direkt im Schatten des Asan. Sie wird über 500 Meter lang und wir widmen sie unserem Freund Christian Podhaisky, der im gleichen Jahr in Kirgisien tragisch verunglückt ist. sie heißt: „Für einen Freund“.
Mit dem Ende des sommerlichen Wetters steigen wir gemeinsam mit den Dorfbewohnern ab und machen uns auf den Rückweg, welcher noch spannender gerät als die Hinfahrt.
Anhang:
Kartenskizze und Topos.
Grafiktopo der Route Für einen Freund.