Es war ein ganz normaler Kletterabend am Thüringer Bahnhof. Robert Fiedler (Mitarbeiter bei Geoquest) erreichte gerade den Umlenker der überhängenden Seite des Kletterturmes am Thüringer Bahnhof. „Hier ist ein Riss drin“, hörte ich ihn auf einmal rufen. Sofort kam er herunter und ich dachte zuerst: Kann ja wohl nicht sein, Metall reisst nicht so einfach. Also hinauf zum corpus delicti. Unglaublich aber wahr: Die Schweißnaht des Umlenkers war zur Hälfte aufgerissen! Der Spalt war sehr dünn (1 mm), ein Wunder, dass Robert dies entdeckt hatte.
Eine gefährliche Situation: erstens weiß niemand, wie so etwas geschehen konnte, zweitens kann man nicht sagen, wie lange nun noch die zweite Hälfte hält.
Sofort am darauf folgenden Tag machte ich mit Hammer, Bohrmaschine und Klebezeug auf zum Turm. „Glücklicherweise“ ließ sich das Hirschgeweih relativ einfach mit dem Hammer abdrehen, der Rest der Schweißnaht leistete nur noch begrenzten Widerstand. „Glücklicherweise“, denn so kann der Klebehaken, an dem das Geweih befestigt war, im Turm verbleiben. In Anführungsstrichen deshalb, weil ersichtlich wurde, dass ohnehin nur 50 % der Kontaktfläche des Geweihs am haltenden Bügel angeschweißt war.
Der Umlenker gab mir Rätsel auf. Wie kann eine Schweißnaht reissen? Die Belastung an diesem Umlenker ist mit ziemlicher Sicherheit ausschließlich Toprope. Können Vibrationen beim Ablassen zur Materialermüdung führen?
Durch Erkundigungen bekam ich schließlich heraus, dass an diesem Umlenker Sturztraining gemacht wurde. Und zwar durch Sturz vom Turm direkt in den Umlenker hinein. Den Rest kann man nun rekonstruieren. Da bei einer solchen Belastung die Sturzenergie asymmetrisch in den Umlenker trifft, wird eine Seite der Schweißnaht stärker beansprucht. Deshalb das asymmetrische Bruchbild.
Trotzdem müsste ein normgerecht hergestellter Umlenker mindestens 2000 daN halten, eine Last, die bei einem einfachen Sturz niemals auftritt.
Bei genauerer Betrachtung der Konstruktion erkennt man, dass der obere Teil des Geweihs eigentlich nur der Führung des Seils selbst dient. Es verhindert das Aushängen des Seils, nimmt aber selbst normalerweise keine Last auf. Die Last kommt vollständig in die untere Biegung des Hakens. Da die beiden Geweihenden weit nach hinten gebogen sind, bekommen sie Felskontakt. Dort kanten sie auf und bekommen bei Stürzen eine kurze, heftige Belastung ab. Es wäre im Extremfall also nur der obere Bügel abgetrennt worden. Eine Gefahr des Bruchs mit anschließendem Absturz hatte glücklicherweise nie bestanden.
Trotz des begrenzten Gefährdungspotentials würde ich beim jetzigen Erkenntnisstand derart geformte Hirschgeweihe nicht mehr empfehlen. Die hinten ankantenden Geweihenden sind unakzeptabel. Sie müssten hinten abgerundet oder noch einmal umgebogen sein, um das Ankanten zu vermeiden. Außerdem muss die Schweißnaht so ausgeführt sein, dass sie auch solchen Belastungen standhält oder das Geweih sollte so konstruiert sein, dass es an dieser Stelle keine Schweißnaht gibt (siehe Foto).
Eine Vermessung des durch Abrieb in den letzten Jahren doch recht intensiv benutzten Umlenkers erbrachte eine weitere interessante Erkenntnis:
Von den ursprünglich 8 mm Durchmesser sind an der Seilauflagefläche noch 5,8 mm übrig. Das ist eine Reduktion um 28 % innerhalb von 6 Jahren an der am wenigsten benutzten Seite des Kletterturmes! Die anderen Seiten des Turms sind glücklicherweise mit Ringen ausgestattet, die sich frei drehen können und deshalb immer mal an einer anderen Stelle belastet werden. So praktisch solche Schnellumlenker (auch Fixkarabiner) also sind: ihre Lebensdauer ist doch arg beschränkt!
An unserem Turm bleibt das Geweih nun weg und ich habe noch einen zusätzlichen Haken installiert. Dann weiter viel Spaß im Überhängenden und immer schön dynamisch sichern!
Mehr Infos zur Kletterhardware, zum Setzen und Sanieren von Bohrhaken und zu Bruchlasten in: Hexen und Exen!