Dies ist der erste Teil unserer Kirgistanexpedition 2019. Teil 2 erklickt man hier und Teil 3 erklickt man hier!
Etwa alle drei Jahre geht das Geoquest-Team ins Ungewisse. Uns reizt das Neue. Wir wollen Felsen versuchen, die nie zuvor beklettert worden sind. Die Stellen der Erde, an denen noch nie ein Menschenfuß gestanden hat, werden weniger, aber es gibt sie noch. Der zweite Grund: wir lernen andere Menschen und Kulturen kennen, mit denen wir in einem Kontext zusammenkommen, der ganz andere Einsichten zulässt, als wenn man nur als kurzfristiger Besucher im Rahmen einer gebuchten Reise kommt. Die Gelassenheit, Offenheit und Gastfreundschaft Fremden gegenüber ist immer wieder eine erfrischende Erfahrung, die wir in vielen Situationen auch hier in Deutschland sehr wünschenswert finden würden. Der dritte Grund: wir bekommen Erkenntnisse und Anregungen für unsere Bücher, lernen Gebiete kennen, für die sich ein neuer Kletterführer anzufertigen lohnt.
Teammitglieder:
Ebru Ucaroglu (33, Berlin)
Henry Pörner (33, Berlin)
Christiane Hupe (37, Halle)
Gerald Krug (48, Halle)
Dieses Jahr ist Kirgisien bzw. Kirgistan unser Ziel (das Deutsche Auswärtige Amt hat sich den skurrilen Namen „Kirgisistan“ ausgedacht, weil man der Meinung war, jedes mittelasiatische Land müsse ein „-istan“ hinten dran haben, der Einheitlichkeit wegen. Das sagt aber im Land selbst niemand und ist auch sonst in keiner Sprache vorhanden). Die erste Frage, wenn man mit Leuten über die Reisepläne spricht, wird oft gar nicht gestellt. Doch ich sehe sie in den Augen meines Gegenübers, wenn auf das Wort „Kirgistan“ ein Flackern der Leere über die Iris huscht. Diese Unkenntnis, wo das Land überhaupt liegt, ist keine Sache, wegen derer man sich schämen müsste, denn es liegt klein und unscheinbar in den endlosen Weiten Asiens versteckt und hat keinerlei Zugang zu den Meeren. Wahrscheinlich ist es tatsächlich dasjenige Land, das am weitesten von allen Meeren entfernt ist.
Wir waren 2003 schon dort und haben uns sofort in dieses Land verliebt. Voller Hochgebirge wird es auch die Schweiz Zentralasiens genannt. Im Gegensatz zu seinem mitteleuropäischen Pendant ist es aber sehr wild und unerschlossen, für Neuland-suchende Kletterer das wahre Paradies. Wo sonst gibt es so viele unerschlossene Felswände, Canyons und Gipfel? Bis hin zu leicht ersteigbaren Vier- und Fünftausendern, die noch nie ein Menschenfuß betreten hat, reicht das Repertoire! Viele kommen auch wegen der bis zu über 7000 Meter hohen Berge hierher, von denen der Pik Lenin als der am leichtesten zu ersteigende gilt.
Wir sind wegen der Felsen gekommen, bei denen man ebenfalls die Wahl zwischen kurzen Kletterouten und bis zu 1500 Meter hohen Bigwalls hat. Der Vorschlag zu den Felsen in der At Bashi-Kette bei Tash Rabat kommt von Wladimir, welcher Vorsitzender des kirgisischen Alpenvereins ist und die Berge Kirgistans kennt, wie kein zweiter. Er führt uns dann auch zu den Bergen und ist in jeder Hinsicht ein zuverlässiger Begleiter und Mentor.
Mit dabei ist das Biwak-Fernsehteam des MDR, welches zur Zeit eine Serie über die schönen Länder Zentralasiens produziert und dabei auch die Klettermöglichkeiten aufzeigen möchte.
Der erste Teil der Reise führt über gut ausgebaute Straßen zum Issyk-Kul, dem blauen Herz des Landes, welches auch als das Meer der Kirgisen bezeichnet wird. Dieser See ist etwas ganz besonderes, er besitzt zwar zahlreiche Zuflüsse jedoch keinen Abfluss, so dass er über Verdunstung und Versickerung in etwa sein Niveau hält. Das führt zu einer leichten Versalzung, welche verhindert, dass er im Winter zufriert.
Auf dem Weg in den Süden passieren wir unzählige Täler und Bergketten, die jede für sich einen Besuch wert wären. Nach zwei Tagen Reise und einem Wechsel auf unbefestigte Pisten kommen wir endlich in Tash Rabat an. Dies ist eine alte Karavanserei aus dem Mittelalter und war einst eine bedeutende Station auf der Seidenstraße.
Etwas unterhalb dieser heute touristischen Sehenswürdigkeit durchbricht der Fluss im Tal zwei langgezogene Kalksteinrücken, welche Felswände bis nahezu 500 Metern Höhe bilden. Hier liegen unsere Kletterziele.
Wir haben uns vorgenommen, einige Sportkletterrouten einzurichten, die durch ihre Nähe zur Piste die touristischen Angebote der Region bereichern und durch die Ausstattung mit Bohrhaken auch einer größeren Anzahl an Klettertouristen zugänglich sind. Um damit anfangen zu können, müssen wir aber erst mal hoch. Also stehen zunächst Clean-Erstbegehungen mit Klemmkeilen und Friends an. Das wird schnell gefährlich, denn der Fels ist nicht so fest, wie es auf den Fotos aussah und so möchte man am liebsten mit der guten alten Dreipunktregel klettern, um sich im Falle der häufigen Griffausbrüche doch noch an der Wand halten zu können. Doch die Kletterei ist nicht so leicht, wie erhofft und so sind ein paar akrobatische Einlagen unvermeidbar.
Nach dem Vorstieg setzten wir Topanker, seilen ab, putzen die Routen und setzen die erforderlichen Bohrhaken, mit deren Hilfe Nachfolgende die Routen ohne Lebensgefahr klettern können. In dieser Art und Weise richten wir in 4 Tagen 8 Routen ein. Das Putzen nimmt den größten Teil der Zeit ein, das Gestein ist zwar entlang der liegenden Schichtflächen (Ost-West-Streichrichtung) solide, an den steilen Stirnseiten der Canyons jedoch leider splittrig und so dauert es seine Zeit, bis die Wege so hergerichtet sind, dass man sie auch anderen Kletterern anbieten kann. Nichtsdestotrotz macht die Kletterei Spaß und der Kalkstein bietet großes Potenzial für nachkommende Generationen. Das Biwakteam ist mit dabei und filmt viele unserer Aktionen. wir sind schon ganz gespannt auf den Film, der 2020 erscheinen wird. Etwas Pech ist leider auch im Spiel: jeden Tag ab 16 Uhr regnet es hier, man kann schon fast die Uhr danach stellen. So wird unsere Putz- und Erstbegehungszeit leider arg beschnitten. Ein Trost: wir sind in einem sehr schönen Jurtencamp untergebracht, das Essen ist super und durch die vielen Berge und Tiere (die Murmeltiere sind hier mutiger, als in den Alpen) ringsum gibt es immer viel zu sehen.
Wer dort hin möchte: natürlich lohnt es sich nicht, wegen einer Handvoll Kletterrouten in den letzten Winkel dieser Erde zu reisen. Wer jedoch selbst abenteuerlustig ist, und Gipfel und Wände erstbesteigen möchte oder wer die alte Seidenstraße bereisen möchte, der kann hier viel erleben und findet in diesen Kletterrouten einen guten Startpunkt. Man findet die beiden Sektoren etwa 5 Kilometer vor der historischen Karawanserei Tash Rabat an dem Durchbruch des Flusses durch die Kalksteinrücken auf der orografisch (in Fließrichtung geschaut) rechten Seite des Flusses. Beim Hochfahren entspricht das der linken Seite. Man muss über den Fluss drüber, 6 Kilometer vor Tash Rabat geht eine Piste links ab oder man watet direkt an den Felsen durch den flachen Fluss.
Koordinaten des ersten Sektors:
40.866434° N
75.278089° E
Koordinaten des zweiten Sektors:
40.861699° N
75.278123° E
Doch auch vom Scheitern erzählt diese Geschichte. Die höchste Wand des Gebietes ist schätzungsweise 450 bis 500 Meter hoch und wir haben sie versucht. Ohne Bohrhaken aber dafür mit Zeitdruck. Denn die kurze Aufenthaltsdauer im Gebiet ließ nur dieses kurze Zeitfenster offen. Leider gingen im oberen Teil die Sicherungsmöglichkeiten aus und beginnender Regen trieb uns nach 3 Seillängen und etwa 200 Höhenmetern hinunter. Trotzdem eine lohnende Erfahrung. Für sinnvolle Kletterei wäre es ratsam, ein paar Haken zu setzen und vor allem die Standplätze einzurichten, denn die Wand ist in der Fläche sehr kompakt und besitzt nur wenige Risse für Klemmkeile und Friends. Wer sie und die vielen anderen Wände ringsum probieren möchte, hier die Koordinaten:
40.866538° N
75.315855° E
Dies ist der erste Teil unserer Kirgistanexpedition 2019. Teil 2 erklickt man hier und Teil 3 erklickt man hier!