Dies ist der dritte Teil unserer Kirgistanexpedition 2019. Teil 1 erklickt man hier und Teil 2 erklickt man hier!
Nach dem Ausflug zum Son Kul (Hochgebirgssee) kehren wir zunächst in die Hauptstadt Bishkek zurück.
Wir verabschieden uns vom Biwak-Fernsehteam und beginnen die Vorbereitungen zum dritten Teil der Reise. Auf dem Plan steht nun das Karavshin, das wohl berühmtetste Felskletterziel des Landes, in dem es 1700 Meter lange Granitklettereien und fantastische Big Walls gibt. Zum Vergleich: am El Capitan klettert man 900 Meter. Wir waren vor unglaublich lang erscheinenden 16 Jahren (2003) schon einmal dort gewesen (hier der Bericht). Da die Situation damals nach einigen Entführungen noch sehr unsicher war und aufgrund verschiedener Grenzstreitigkeiten zwischen Kirgisien, Usbekistan und Tadshikistan (welche teilweise bis heute anhalten) unser Vordringen bis ins Zielgebiet alles andere als sicher war, reisten wir damals nur mit leichtem Gepäck.
Diesmal haben wir die komplette Ausrüstung dabei und wollen auch einen Big Wall klettern. Wir beschaffen uns die nötigen Permits und organisieren den Transport, bevor es mit dem Taxi (es gibt keine Linienbusse) von der Hauptstadt Bishkek im Norden in die zweitgrößte Stadt des Landes, Osch, im Südwesten geht. Von der 600 Kilometer langen Fahrt bleiben mir vor allem die Überholmanöver im Gedächtnis. Pikant an der Sache ist nicht der überaus betagte Fahrer, sondern die Tatsache, dass das Auto das Lenkrad auf der rechten Seite hat und das Ansetzen zum Überholen aus dem Fahrschatten des vorausfahrenden 20-Tonners zunächst im Blindflug geschieht. Da ich auf dem Beifahrersitz gelandet bin, schaue ich dem Gegenverkehr immer als erster in den Kühlergrill. Zum Glück gibt es noch den Sohn des Fahrers, der vom besseren Winkel der Rückbank immer Signale gibt, wann die Strecke frei sein könnte.
In Osch haben wir einen Tag Zeit, Lebensmittel und anderen Expeditionsbedarf zu kaufen. Am folgenden Morgen werden wir von einem Bus unserer unterstützenden Agentur Batken-Travel abgeholt. Nach einem Stop an einer Militärstation (an der unsere Permits kontrolliert werden) gelangen wir in das kleine Dorf Ozgorush am Fuße der Berge. Dort gibt es noch eine letzte Übernachtung mit dem Luxus von Elektrizität und Bier. Mit dem Morgengrauen wird es ernst: das Expeditionsgepäck wird auf die Pferde verladen und wir machen uns auf den Weg.
Zwei lange Tage geht der Weg ins Basislager, drei hohe Pässe sind zu überschreiten, der Blick auf die Karte lässt einen die Haare vom Kopf stehen. Wir queren die maximal mögliche Anzahl von Bergrücken, zwischendurch geht es immer wieder weit hinunter. Der alternative logische, kürzeste und angenehmste Zugang von der tadshikischen Exklave Voruch aus ist momentan nicht möglich. Da es immer wieder Unruhen in der Gegend gibt, wurden die Brücken in jenem Tal nicht mehr repariert (jedes Jahr fallen einige von ihnen dem frühsommerlichen Schmelz-Hochwasser zum Opfer) und ohne diese ist der Weg unpassierbar. Auch unser Weg ist nicht 100%ig sicher begehbar, dieses Jahr hat es noch keiner geschafft, der Schnee war zu hoch für die Tragetiere. Wir haben am hohen Pass zu kämpfen, einige Esel bocken, einer versinkt tief im Schnee und muss entladen werden, ein anderer stürzt gar. Doch mit viel Manpower gelingt es, die schwächsten Tiere beim Tragen zu unterstützen und alle, Mensch und Tier, erreichen die andere, freigeschmolzene Seite des Passes. Die Pferdetreiber sind sehr versiert und durch ihren Humor wird die Wanderung kurzweilig.
Am Abend sind alle rechtschaffend fertig, die Tour ging von früh um acht bis abends um acht und der folgende Tag ist nicht leichter.
Doch wir erreichen letzten Endes das Basislager und auch unser Gepäck kommt wohlbehalten an. Hier stehen schon die Zelte einiger Reiseveranstalter und auch zwei Klettergruppen sind schon da, welche durch einen Umweg den Schneepass umgehen konnten, was sie einen zusätzlichen Anmarschtag gekostet hat. Mit uns ist eine österreichische 6-Mann-Expedition aufgestiegen und ihr Koch, der nette Ali, macht uns allen einen Tee. Das tut gut!
Der Anblick der Vier- und Fünftausender ringsum ist gigantisch. Überall läuft noch Schmelzwasser über die Wände, für einige Routen wird man noch ein paar Tage warten müssen.
Unser erstes Ziel ist die Diagonale (Solonnikova) durch die gelbe Wand. Eine auffälige, logische Linie, die sich durch eine 700-Meter-Wand zieht. Zuerst folgen wir einem großen Pfeiler in relativ gängier Kletterei. Haken gibt es keine, aber hin und wieder liegt ein Friend. Wir klettern konsequent in Wechselführung. Das dauert zwar länger aber immer nur Nachsteigen wäre für jeden von uns zu langweilig. Obwohl der Morgen makellos war, ziehen immer mehr Wolken auf. Das war in diesen Tagen immer so: der Himmel zog sich zu und nachmittags ab 16 Uhr gab es Regen. Wir hoffen, die Wand eher zu schaffen aber bleigraue Sturmwolken schieben sich von drei Seiten heran. Als die Sicht immer schlechter wird und der Regen schon vormittags anfängt, entschließen wir uns nach nur 5 Seillängen zum Rückzug. Zum Abseilen müssen wir Material zurücklassen, aber wir wollen wiederkommen und den Weg beenden. Als wir den Wandfuss erreicht haben, hört der Regen auf und der Himmel wird wieder blau. Wir können es gar nicht fassen, da die Seile aber nass und schwer sind und die Zeit für einen erneuten Start zu weit fortgeschritten ist, trollen wir uns hinunter ins Basislager.
Für den Folgetag ist das Wetter nicht gut vorhergesagt, aber am Tag drauf heißt es wieder: 3:50 Uhr aufstehen, einen Kaffee hineinwürgen und eine Stunde bergauf zur Wand laufen.
Stirnlampe aus und mit dem ersten Dämmerlicht losklettern. Diesmal bleibt das Wetter stabil und wir erreichen die Cruxseillänge, die mit frz. 7a angegeben ist. Hier finden sich ein paar verrostete Schlaghaken aber auch gute Friendplatzierungen. Chris ist dran mit Vorsteigen, klemmt sich in den schrägen Schulterriss und robbt „elegant“ durch den Flaschenhals. On sight – chapeau.
Mein Problem ist ein anderes: da wir diesmal das Gepäck aufgeteilt haben und mit zwei kleinen Rucksäcken klettern, haben wir es vermieden, dass der Nachsteiger zu viel tragen muss. Zumindest in der Theorie. Denn ein Schulterriss lässt sich nicht mit Rucksack klettern. Also habe ich Chris angeboten, ihren Rucksack in der Cruxseillänge zusätzlich zu nehmen, damit sie es im Vorstieg leichter hat. Nun stehe ich also mit zweien da. Was mache ich damit nur? Einen setze ich auf, den zweiten hänge ich mir in die Zentralschlaufe, so dass er genau unter meinem Körperschwerpunkt hängt. So kann ich sein Rumschlenkern beim Klettern am besten kalkulieren. Weit herausfallen, das wird mir im Moment des Loskletterns schlagartig klar, wäre nicht so gut, denn dann kann es passieren, dass ich gar nicht mehr an den Riss herankomme. Hineinkriechen geht leider auch nicht mit den zwei Gepäckstücken. Also suche ich am Rand des Risses nach kleinen Strukturen und siehe da – der „Löbejün-Suchblick“ kann kleine Leisten ausmachen. Mit kleinen Bewegungen, damit der Baumelrucksack mich nicht herauspendelt, gelingt die Passage auch als Wandkletterei. Am Stand bin ich sehr erleichtert, und gehe gleich die nächste Länge im Vorstieg an, nunmehr zum Glück wieder nur mit einem Gepäckstück. Die Kletterei bleibt spannend und am Nachmittag haben wir nach ca. 18 Seillängen den Gipfel erreicht.
Der Abstieg führt über steiles, teils brüchiges Gelände und zahlreiche nunmehr wild schäumende Gletscherschmelzflüsse sind zu überwinden.
Derart warmgeklettert möchten Herny und ich nun den Höhepunkt angehen – die Asan-Bigwall. Eine formschöne 1000-Meter-Wand die sich nach Westen und Nordwesten öffnet und die Nachmittagssonne einfängt.
Es gibt hier im Karavshin höhere Wände, aber der Asan fällt einem immer als erstes ins Auge, wenn man das Karasu-Tal betritt. Unser erster Erkundungsgang zum Wandfuß endet leider vorzeitig im Regen, so dass wir zwar den Zustiegspfad kennengelernt haben, aber noch keinen Blick in die Wand werfen können. Wir haben uns ganz bescheiden eine der leichteren Touren im rechten Wandteil, die Alperina (frz. 6c+, 900 m) herausgesucht. Die Touren durch den zentralen Wandteil sehen so glatt und eindrucksvoll aus, dass wir demütig auf den besser gegliederten Südwestteil ausweichen. Außerdem scheint hier deutlich länger die Sonne herein und etwaige von Süden heranziehende Schlechtwetterfronten wären rechtzeitig erkennbar.
Wir schultern große Rucksäcke und schlagen ein vorgeschobenes Basislager am Wandfuß auf. Am Abend schaffe ich doch noch die leichte Kletterstrecke (250 Meter scrambeling) bis zum eigentlichen Einstieg und was ich da sehe, gefällt mir gar nicht: er ist zwar wunderschön anzuschauen, dieser nicht enden wollende Riss, aber ich weiß: wenn ich das Ding von hier aus bis in 400 Meter Höhe so deutlich als Riss erkennen kann, dann klemmt da keine Hand mehr! Und Schulterrisskletterei ist so gar nicht mein Steckenpferd. Wenn ich an die Qualen zurückdenke, die mir 2009 der Monsteroffwidth im Freerider am El Capitan beschert hat, könnte mir glatt die Lust vergehen. Zum Glück hat Seilkamerad Henry im vergangenen Sommer einen Spezialkurs bei Seppo und Joe Brutscher in Adrspach absolviert! Wir einigen uns also auf die Formel: Wir schaffen das! Trotzdem mache ich die ganze Nacht kein Auge zu, vor Aufregung finde ich keinen Schlaf.
Am nächsten Morgen starten wir wieder in der absoluten Finsternis, zum Glück sind die Temperaturen sehr mild und es weht kaum Wind. Im Mondlicht finden wir nach einer Stunde Kraxelei den Einstieg und ich stürze mich in die Wand. Dann führt Henry und dann beginnt in der dritten Seillänge der Offwidth und für mich die Stunde der Wahrheit. Ich habe einen 5er und einen 6er Camalot, die ich immer wechselseitig einsetzen kann. Irgendwann im oberen Teil lasse ich dann den einen als Zwischensicherung zurück und schiebe den anderen vor mir her.
Zum Glück ist das Gelände leicht liegend und immer mal wieder findet man rechts oder links des Risses Strukturen zur Unterstützung. Kein Vergleich also mit den steilen, rundgeschliffenen Yosemite-Schindern! Trotzdem bin ich völlig ausgelaugt, als ich am Standplatz ankomme. Da meine Füße ausgesprochen klein sind, klemmen sie nicht gut in breiten Rissen und nötigen mir immer zusätzliche Anstrengungen ab. Außerdem schlaucht mich der Schlafmangel. Henry hat nun den Dreh raus und wird immer routinierter. Er übernimmt die Führung und bringt uns sicher durch die Schulterrisshölle.
Das Nachziehen des Haulbags ist mühselig, es gibt aber keine Katastrophen. Verhängt er sich, dann löse ich ihn während des Nachstiegs. Weiter oben verklettern wir uns und nur durch die Erstbegehung einer neuen Seillänge und einer „3-Seillängen-Abkürzung“ gelangen wir wieder auf die Originalroute. Inzwischen ist es jedoch dämmrig geworden und der kleine Absatz, auf dem wir uns befinden, könnte für zwei Personen genügen. Mit Friends bauen wir eine Sicherung auf , legen das Seil als Isomatte aus, essen unsere karge Ration und legen uns in die Schlafsäcke.
Davon abgesehen, dass man sich nicht zur Seite drehen sollte, denn da geht es 600 Meter runter, liegen wir ganz okay. Wir schlafen mit Gurt und sind lose gesichert. Trotzdem ist an richtigen Schlaf nicht zu denken. Das Setting ist atemberaubend, die Sterne scheinen wahnsinnig schön, aber die Frage, wie und wo es morgen weiter geht, kreist die ganze Zeit im Kopf umher. Die Nacht ist mild, man hört kaum Steinschlag und wir wissen, dass ein Rückzug jederzeit möglich ist – für einen Bigwall sind das beste Bedingungen.
Am nächsten Morgen bin ich wieder fit und klettere voller Tatendrang los. Zum Glück finden wir den richtigen Weg, denn nach 60 Metern sehe ich einen Haken. An den Standplätzen finden sich in dieser Tour meist Bohrhaken, der Rest ist selbst abzusichern. Das Klettern macht Spaß, auch wenn die blockgefüllten Kamine der nächsten beiden Seillängen wirklich spooky sind. In ihnen haben sich riesige Brocken verkeilt, einige von ihnen sind 8 und sogar 15 Meter hoch. Sie klemmen wir beim Yenga alle aufeinander, ich hoffe nur, dass ich keinen von ihnen rausziehe, denn dann stürzt der Turm zusammen. Aus Angst, der Spreiszdruck der Friends könnte ihre Stabilität gefährden, lege ich nur sehr sparsam Zwischensicherungen.
Auch Henry kommt zügig voran und findet den Weg über die überhängende Kante auf den Grat.
Dort angekommen bietet sich uns eine grandiose Szenerie. Die spitze Pyramide des Pik Odessa (4810m) ragt über uns auf und bis zu unserem Hauptgipfel, dem Asan (4230 m) scheint es nur noch leichte Kletterei zu sein. Wir folgen dem Grat und klettern die letzten 200 Meter seilfrei über Absätze, durch Kamine und Rinnen und stehen schließlich am Gipfel! Ganz unten sehen wir winzig klein das Basislager. Erleichtert und glücklich fallen wir uns in die Arme und genießen die Gipfelrast.
Hier ein kurzes Video:
Da die Bergtour erst im Basislager geschafft ist, verzichten wir auf ein lange Pause und machen uns auf den Rückweg. Schließlich wartet eine lange Abseilstrecke auf uns. Schon die erste Abseillänge lässt Bauchkribbeln aufkommen. Da es auf dem Grat keinen Haken gibt, wählen wir eine überstehende Felszacke als Fixpunkt. Ich hintersicher diese zusätzlich und Henry seilt als erster ab. Nachdem sich herausgestellt hat, dass die Zacke hält und das Seil nicht von ihr abrutscht (zumindest wenn man sich nicht zu weit nach außen lehnt), löse ich die Hintersicherung und seile auch von der Zacke ab.
Von nun an können wir von den Haken der bekannten Standplätze abseilen. Drei mal verhängt sich das Seil und macht teils komplizierte Bergemanöver notwendig. Trotzdem läuft alles gut und wir kommen gesund und munter am Wandfuß an.
Die leichte Kletterei hinab zum ABC (Zelt am Wandfuß) und der Weiterweg bis ganz hinunter ins Basislager verbraucht dann die letzten Reserven, so dass wir erschöpft aber zufrieden den Tag beschließen können.
Als dritte Tour klettere ich dann mit Chris noch eine in den Infos als 1500-Meter-Tour angepriesene Führe. Bei der stellt sich heraus, dass es nur 700 Meter richtige Granitwand sind, der Rest entpuppt sich als brüchige und schlecht gesicherte Gratkraxelei im Schiefer auf der abgewandten Seite des Berges. Trotzdem – geschafft – überlebt und wieder um einige Erfahrungen reicher beschließen wir die Expedition und freuen uns auf zu Hause.
Fotos: Christiane Hupe, Henry Pörner und Gerald Krug
Links: Karavshin 2003