Autos in der Sächsischen Schweiz sind ja an sich nichts besonders, in der Welt ja sowieso nicht, es werden immer mehr. Aber hier doch schon, hier werden die Auto immer weniger. Dass heißt, natürlich verschwinden Autos nicht, sie sind zu groß, verwesen nicht wie wir. Sie verändern sich nur, kommen in andere Länder, an andere Fahrer, die sie bedienen (müssen), sehen oftmals viel von der Welt, meist in Osteuropa, können aber nichts erzählen. Schade!
Ich kenne viele Menschen, meist Kletterer, denen das Auto abhanden gekommen ist. Einfach so. Die größte Wahrscheinlichkeit besteht in unserem schönen Nachbarland Tschechien. Manchmal ist der Besitzer völlig unschuldig, er weiß von den Gefahren einer guten schnellen Eigentumsveränderung nichts. Er denkt, alle sind gleich. Dachte ich auch mal, aber so weit sind wir auch heute noch nicht. Gute Ansätze gab es schon einmal in 40 Jahren Sozialismus. Das Ergebnis kennen wir.
Einmal bin ich sogar selbst ein Leidtragender geworden. Ein wunderbares Schweizer Auto, ein VW Bora, hat meinen ganz großen runden Schweizer Käse und viele Flaschen guten Rotwein mitgenommen. Für immer. Ich habe bis heute keinen Ersatz bekommen, der enorme Verlust wurde nicht ersetzt. Nicht mal ein Wort der Entschuldigung meiner Schweizer Bergfreunde ist gefallen. Sind dann einfach von Prag, wo sie übernachtet haben, mit dem Taxi zu mir gekommen. Sie hatten keine Probleme, haben einfach alles neu gekauft, sind mit mir eine Woche geklettert und sich vom Sohn abholen und wieder zurückfahren lassen. Ein neues Auto sprang dann auch noch heraus. Wie gesagt, der einzige Dumme war ich. Ich habe es dann verkraftet; mich würde nur interessieren, ob den Grenz-, Sitten-, und Gesetzeswächtern der Welt irgendwann mal die vermutlich gar nicht ähnlichen Gesichter der Ganoven mit denen auf den gestohlenen Schweizer Pässen aufgefallen sind.
Andererseits verteilt das Schicksal seine Gunst in Sachen Autoverteilung auch sehr ungleichmäßig. Meinem sehr selbstbewussten klugen Bergfreund Rolf sind zum Beispiel seine großen schwarzen BMW’s noch nie gestohlen worden, obwohl er sehr oft in unseren Nachbarländern war und sogar eine Firma dort hatte. Wir fanden, auch in dieser Beziehung gibt es keine Gerechtigkeit auf dieser Welt.
Kurios ist jedoch, wenn eine Kletterzeitung in einem Bericht über Klettern im Elbtal Parkmöglichkeiten bei Dolny Zleb empfiehlt, wo die Chancen am größten sind, das Auto nach dem Klettern nicht mehr zu sehen. Davon handelt die nachfolgende Geschichte.
Es war am helllichten Tag, als es geschah. Obwohl die ganze Wahrheit vermutlich für immer im Dunkeln bleiben wird. Weil es verschiedene Versionen gibt von der wechselvollen Geschichte eines Autos. Das Auto selbst, also die Hauptperson, könnte es, ist aber nicht mehr da.
Nur der Leidtragende, der ehemalige Besitzer des Autos, mein Bergfreund Peter, könnte der Wahrheit ziemlich nahe kommen. Aber in den Protokollen von Polizei, Versicherung und sonstigen Rechtsabteilungen eines kalten gefühllosen Staatsapparates hat er sich mit heillos nüchternen Angaben in eine Tatsachen verfälschende Schilderung eingelassen, die auch nicht mehr zur Wahrheitsfindung beiträgt. Wie es wirklich war, hat er mir in einem ganz seltenen Moment, als er mal nüchtern war (in Marokko, in der Lehmhütte bei der Taghia – Schlucht?), erzählt. Davon will er natürlich nun nichts mehr wissen. Aber um der Wahrheit und der Gerechtigkeit willen sei hier der Nachwelt berichtet, was von dem schönen Auto übrig ist: Nichts, nur diese Geschichte.
Es war an einem ganz normalen Arbeitstag nach der Wende (vielleicht ist diese Schuld?). Peter hatte die Tätigkeit bereits gewechselt. Dreher mit Dauerfreistellung für die Nationalmannschaft Bergsteigen der DDR war nicht mehr, jetzt brauchte die schöne neue Welt neue Fassaden, speziell auch Wärmedämmverbundsysteme. Und geschickt war er ja schon immer, nicht nur beim selbst kreierten Triathlon „ Saufen, Sex und Klettern“. Aber an dem Tag war leider Schlechtwetter (oder ist dieses Schuld?). und die Arbeit fiel aus. So fuhr er wieder mal in sein Lieblingsklettergebiet in Tschechien, zu den Elbwände untern Belvedere, allein (nächster Fehler). Anstatt nun wie immer das Auto oben am Belvedere zu parken (wo er ja Stammgast mit Bilderausstellung seines wilden Kletterlebens ist), stellte er es diesmal unten an der Elbe nahe des schönen Hauses „Relax“ mit dem großen Herzen ab. Bis hierher stimmen alle Berichte über die Geschehnisse überein. Dann nicht mehr. Er hat ja später selbst zugegeben, dass er gar nicht klettern war. Angeblich wegen Schlechtwetter. Aber die Beweislage war eindeutig, denn das Kletterzeug war ja auch weg. Und alles andere auch, die gesamten Papiere, Schlüssel, einfach alles. Wenn er nicht ein paar Sachen angehabt hätte, stände er damals wie ein Neugeborenes da: Unschuldig, nackt, ohne Wert. Ein herrliches Bild. Übrigens gibt es solche Bilder tatsächlich, aber in anderen Situationen. Im Belvedere hängt zum Beispiel eines, allerdings hängt da bei Peter alles und er am Fels. Andererseits war dieses virtuelle Bild gar nicht so weit weg von den kommenden Realitäten. Denn die ursprüngliche Absicht, mühevoll zu seinen Wänden hochzusteigen, muss er beim Anblick des Hauses mit dem Herzen aufgegeben haben. Anders ist alles Weitere nicht zu erklären. Das Wetter muss so schlecht gewesen sein, dass er in das Haus ging ohne besondere Absicht; vielleicht wollte er sogar daran vorbeigehen. Ja, auch das gibt er neuerdings ohne Widerrede zu. Dann ist der Rest nur klar und logisch. Es waren sogar mehrere Frauen, na ja, jünger, also beinahe Mädchen. Und alle hübsch, adrett, nichts zu meckern. Und auch nett, sehr nett. Um es kurz zu machen, er bereut zwar bis heute den Fehler, einfach mal hineinzuschauen, aber Schuld war dann doch nur die eine, die ganz besonders nett war. „Ach, Peter heißt du…!“ und „Du wirst ja ganz nass da draußen!“ und „Hier ist es schön warm, da kannst du auch die Jacke ablegen“ (sie sagte auf Tschechisch Bundu und meinte seinen Anorak) und „Du bist doch bestimmt müde, da kannst du…“ usw. Damals muss er noch sehr naiv gewesen sein. Aber nicht so, dass er auf sein Auto nicht geachtet hätte, wie er sagte. Immer im Blick. Auch im Zimmer des Mädchens (Anna) war ein Fenster, wo er das Auto sehen konnte. Bis dahin hatte er nie das Gefühl, dass etwas schief gehen könnte an diesem Tag. Es waren andere Gefühle, zum Beispiel solche, die er bis zum Parken gar nicht eingeplant hatte. Psychologen könnten ihm das erklären. Bei Männern ist sehr oft so ein Gefühl im Hinterkopf. Nun weiß er das oder kann das zumindest bestätigen, wenn er ehrlich ist. Um es kurz zu machen: Allein mit einem netten Mädchen in einem Zimmer, was könnte da schon passieren. Genau! Nun muss man ihm aber hoch anrechnen, dass er das Fenster und dahinter das Auto (fast) nie ganz aus den Augen verlor. Wobei nun nicht ganz klar ist, ob überhaupt ein Mann zwei Sachen zu gleicher Zeit machen kann: Das Mädchen, das Auto. Ich sage bis heute, eines geht nur. Jedenfalls ist überliefert, dass Peter der einzige Mensch auf dieser schönen Erde ist, der im entscheidenden Moment rief: „Oh Gott, oh Gott!“ und nicht das schönste Gefühl auf Erden meinte, sondern das Auto, das in dem Augenblick sich bewegte und dann ganz schnell weg war!
Das Ende? Ja, er hatte sehr viel Ärger, hinterher. Aber das kann er euch selbst erzählen. Immerhin hat er wieder ein neues Auto, klettert immer noch, aber geht nie wieder dort hin!
Erhard Klingner
Am Ende eines sonnigen Klettertages mit Peter im März 2014, nach nur einer Flasche Bier, ich schwöre es!