Reise zum Son Kul
Nachdem unsere Zeit in Tash Rabat abgelaufen war, machen wir uns auf den Weg zum Son Kul, einem sagenumwobenen See weit oben in den Bergen. Auf dem Weg dorthin besuchen wir ein schwierig zu findendes, abgelegenes Seitental, welches uns staunen lässt. Sind die meisten Hügel und Berge in Kirgisien mit kurzem, gut beweidetem Gras bedeckt, so finden wir hier einen alpinen Hochwald vor.
Die Hänge sind hier scharf voneinander abgegerenzt. Die Nordseite erhält mehr Niederschläge, wodurch die Bäume wachsen können. Die Südseite beherbergt das hier überall anzutreffende Weideland. Am Talende zeigt uns Wladimir noch einen ca. 250 – 300 Meter tiefen Canyon, in den wir eine Stunde lang hineinlaufen (ohne an sein Ende zu gelangen) und die Wände ringsum bestaunen. Doch der eng gestaltete Reiseplan gestattet es nicht, die Klemmkeile auszupacken und so fahren wir weiter nach Naryn, der Distriktshauptstadt. Zivilisation! W-Lan! Alle daddeln fiebrig auf ihren Smartphones herum, um Mails und Nachrichten zu lesen, Lebenszeichen loszusenden und zu schauen, was in der Welt so wichtiges los war. Nichts. Also speisen wir entspannt zu Mittag und machen uns auf den Weg zum nächsten Ort digitaler Enthaltsamkeit.
Nach 2 Stunden Fahrt hinauf in die Berge erreichen wir das Canyonland von Son Kul, welches Kletterherzen höher schlagen lässt. Mehrere nahezu unerforschte Canyons aus Kalkstein und Granit, welche schier endlose Klettermöglichkeiten bieten. Hauptattraktion ist der Son Kul Fluss, welcher der einzige Ausfluss des Son Kul Sees ist. Dieser durchbricht oben am See in mehreren sehenswerten Wasserfällen eine vorgelagerte Granitbarriere, beruhigt sich dann vorübergehend, bevor er einen Kalksteingebirgszug durchtrennt, der bis zu 400 Meter hohe Wände birgt. Britische Alpinisten um Pat Littlejohn haben hier in den Jahren 2008 bis 2014 einige Mehrseillängenrouten im englischen Stil (im Vorstieg von unten ohne Haken) gemacht. Darunter befindet sich eine Gratbegehung mit 600 Metern Länge. Die zentralen Wände sind jedoch bisher ungeklettert. Das Potentzial ist riesig, sowohl für das Abenteuerklettern als auch für Sportklettern nahe an der Piste.
Wir durchfahren den Canyon, biegen dahinter ab und Wladimir zeigt uns einen südwestlich gelegenen Nebencanyon, in dem die Mannschaft um Pat Littlejohn bereits geklettert hat. Es gibt keinen richtigen Weg und so müssen wir permanent durch das Wasser des Flusses.
Doch der Weg lohnt sich, überall sehen wir kletternswerte Wände.
Bald stellen wir fest, dass unsere Reisezeit viel zu kurz ist, um auf dieses Überangebot an Felsen angemessen reagieren zu können – man wird später noch einmal wiederkommen müssen! Da das Jurtencamp am Seee das Tagesziel ist, müssen wir noch weiter, hoch zum See fahren. Eine serpentinenreiche Piste führt uns immer weiter bergauf.
Der Pass oben wird Papageienpass genannt, da ich aber keinen der bunten Vögel sehen kann, erschließt sich die Namensgebung nicht. Lokal heißt er jedenfalls Pereval Teskeytorpo. Schließlich gelangen wir an den Son Kul, den wohl idylllischsten Hochgebirgssee Kirgistans. Er liegt deutlich höher als der Issyk Kul auf über 3000 Metern und es gibt keine asfaltierte Straße zu seinen Ufern.
Wir beziehen in einem der Jurtenlager am Ufer Quartier und erkunden in den nächsten beiden Tagen die Felsen im Granitcanyon am Ausfluss des Sees. Ringsum sind tausende und abertausende Weidetiere, also vor allem Pferd, Ziegen und Schafe unterwegs, überall sieht man die Jurten der Kirgisen. Sie kommen jedes Jahr im Sommer, wenn der Schnee hier oben endlich geschmolzen ist. Das Gras ist dicht und saftig. Durch die intensive Beweidung kann man hier kilometerweit über perfekten Golfrasen laufen. Dazu der See und die Bergkulisse – fantastisch! Natürlich müssen wir es den Kirgisen nachmachen und auch mal reiten.
Klettergebiet am Papageienpass
Eine leicht liegende Wand fesselt unsere Aufmerksamkeit und Chris stürzt sich sofort auf diesen Aufstieg. Absicherung und Klettern gestaltet sich dann aber doch schieriger, als der reine Schwierigkeitsgrad suggeriert und so kommt die Tour zu ihrem Namen.
In der Mitte scheitert der Versuch in einem gewundenen Riss, aber am rechten Rand der Wand gelingt Chris noch die Route Ersatzhandlung 6a.
Gegenüber steht ein Felsturm, der zur Erkundung noch über die Rückseite erstiegen wird, bevor uns das inzwischen gewohnte Nachmittagsgewitter vom Fels spült. Doch am Folgetag gelingt die Erstbegehung der mit schönen Rissen gegliederten Talseite, welche die von mir gefürchteten Schulterbreiten beinhaltet, weshalb meine Kletterperformance nicht mehr unter die Rubrik „würdevoll“ fällt, aber egal, Hauptsache onsight.
Alle Routen hier haben wir im Trad-Stil geklettert, es wurden keine Haken verwendet. Man erreicht die Felsen von der Piste zwischen Papageienpass und Son Kul. Man stoppt an der Piste an folgendem Punkt: 41.738395° N, 75.416234° E.
Die beiden bisher bekletterten Felsen haben folgende Koordinaten:
Understatement-Wand: 41.741754° N, 75.420686° E
Sandwichturm: 41.743814° N, 75.425881° E
Viele weitere Felsen aus gutem Granit stehen hier, aber wieder einmal reicht die Zeit nicht für weitere Erkundungen, denn das Karavshin mit seinen 1000-Meter-Wänden wartet auf uns. Was wir dort erleben, lest ihr bald hier im 3. und letzten Teil des Expeditionsberichts.
Dies ist der zweite Teil unserer Kirgistanexpedition 2019. Teil 1 erklickt man hier und Teil 3 erklickt man hier!